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Botrytis und Essigfäule - Eine neue Herausforderung?

Rudolf Fox, LVWO Weinsberg

Die zurückliegenden guten Weinjahre mit frühzeitig hohen Reifegraden führten verbreitet zu erhöhtem Botrytis- sowie insbesondere Essigfäulebefall. Extrembeispiel waren die Jahre 2000 und 2006. Dittrich (1) schrieb hierzu 1984 in einem Fachartikel mit der Überschrift "Essigstich noch immer Weinfehler Nummer 1" einleitend folgendes:
"Der Essigstich ist der Weinfehler, der am längsten bekannt ist und der als einziger allgemein ‑ auch bei Nichtweinkennern ‑ bekannt ist. Schon bei den alten Völkern war essigstichiger Wein gleichbedeutend mit Säure schlechthin. Die Essigsäure ist somit die älteste bekannte Säure. Das Stichigwerden war damals in diesen Weinbaugebieten um das Mittelmeer sehr verbreitet. Auch heute ist in den wärmeren Regionen die Problematik stärker ausgeprägt. So sollen in weiten Gebieten Südamerikas alljährlich hohe Anteile der Ernten nicht oder nur schlecht verkäuflich sein, weil diese Weine bei hohem Essigsäuregehalt nicht einmal durchgären, also Zuckerreste behalten. Erhöhte flüchtige Säurewerte sind bekanntlich auch in vielen hochgeschätzten Bordeaux-Weinen zu finden".

Was fördert verstärktes Auftreten?

Essigfäule bzw. mit Essigsäure belastete Weine sind demnach nichts Neues und besonders in südlichen Regionen schon immer gefürchtet. Die Gefahr ist immer dann besonders groß, wenn reife Trauben am Stock hängen, Niederschläge fallen und noch rel. hohe Temperaturen auftreten. Solche Bedingungen führen in südlichen Ländern nicht selten zum weitgehenden Ausfall der Ernte ganzer Jahrgänge. Auch bei uns traten 2006 je nach Sorte und Region mehr oder weniger hohe Ernteverluste auf. Das der Riesling besonders betroffen war dürfte neben den späten Niederschlägen auf seine relativ porösen Beerenhäute bei hohem Reifegrad zurückzuführen sein. Späte Reife bei niedrigen Temperaturen sowie niedrigen pH-Werten, wie sie bei uns seither die Regel waren, bieten selbst in Verbindung mit Botrytisbefall dagegen keine günstigen Bedingungen für Essigbakterien.

Nachdem belastetes Lesegut schwierig in den Griff zu bekommen ist, wird nicht umsonst deshalb gerade in südlichen Regionen auch extreme Lesedisziplin gefordert, also keine Faulanteile im Lesegut toleriert. Im Zusammenhang zum Beispiel mit offener Maischegärung wäre dies unter den gegebenen Bedingungen von Lesegut und Temperaturen auch geradezu fatal. Um dagegen möglichst niedrige Traubentemperaturen zu erzielen und den rasanten Anstieg der Keimzahlen bei der Traubenverarbeitung zu begrenzen, wird deshalb in südlichen Gebieten teils gezielt nachts mit der Maschine gelesen.

Jahre mit früher Reife bei hohen Temperaturen, also besonders gute Weinjahre, wie wir sie in den letzten Jahren immer wieder hatten, führen dagegen naturgemäß zu erhöhtem Fäulnis- sowie in der Folge verstärktem Essigfäulebefall. Stichworte wie: Jahrgangstöne, höhere Gehalte an "Flüchtiger" bei Auslesen, Beerenauslesen usw., höhere "Flüchtige" bei frühreifen Sorten oder auch erhöhte Gehalte an "Flüchtiger" bei Maischegärung mit ihrer längeren Anwesenheit von Sauerstoff deuten auf Ursachen und Problemfelder hin. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber deshalb auch unterschiedliche Grenzwerte für Weinarten und Qualitäten festgelegt.

Unter den für Fäulnis gegebenen günstigen Bedingungen des Jahrganges 2006 mit der frühen Reife bei hohen Temperaturen, spätsommerlich sowie bis kurz vor Lesebeginn hohen Niederschlägen, niedrigem Säuregehalt sowie hohen pH-Werten kam es selbst bei spätreifen Sorten zu beachtlichem Botrytis- sowie in der Folge Essigfäulebefall - siehe hierzu Übersicht 1. Die besten Lagen sowie Regionen mit besonders hohen Niederschlägen waren dabei besonders stark betroffen. Je nach Sorte bzw. Schalenfestigkeit kam es zu Mikro- bis Makrorissen in den Beerenhäuten und damit idealen Eintrittspforten für alle Fäulniserreger. Alle, die durch selektive, gestaffelte Lese versucht haben, das Problem in den Griff zu bekommen, sind unter den für die verschiedenen Fäulen gegebenen, nahezu optimalen Bedingungen von der "Biologie" regelrecht überrollt worden. Wer unter diesen Bedingungen mit der Lese in Verzug kam, hatte einen steigenden Selektionsaufwand bei der Lese und musste zunehmend größere Anteile ganz verwerfen.

Verkostungen von Jungweinen aus 2006 zeigen derzeit (Febr. 2007) deutlich auf,

dass durch selektive Lese ein deutlicher Qualitätsvorteil erzielt werden konnte. Dort wo, z. B. mit der Erntemaschine, hochgradig faules Lesegut eingebracht wurde sind die Weine durch eine deutliche Botrytisnote bis hin zu starken Faultönen geprägt. Die sortentypischen Aromen sind von muffig, dumpfen Noten überlagert. Hochfarbigkeit, Brauntöne, oxidative Noten, beeinträchtigte Farbe und Phenole bei Rotweinen sowie "Flüchtige" und Esternoten bei mangelnder Sortentypizität sind weitere negative Attribute die sich mit zunehmender Lagerdauer eher verstärken. Hinzu kommen Klär- und Filtrationsprobleme sowie erhöhter SO2-Bedarf. Das botrytisgeprägte, "fette" Spätlesen wie auch "farbarme" Rotweine kaum noch marktfähig sind, macht es für die Weinwirtschaft nicht leichter den Jahrgang 2006 ohne Imageverlust zu vermarkten.

Übersicht 1:  Einiges zur Essigfäule
 

Ursachen/Voraussetzungen für Essigbakterien

  

Beerenverletzungen (Essigbakterien sind Sekundärinfektanden)

 

Anwesenheit von Sauerstoff (Aerobier)

 

pH-Wert > 3,1

 

Temperaturoptimum um 30°C

 

Infektionen mit Hefen und Vorhandensein von deren Stoffwechselprodukten
Mischinfektionen von Botrytis (Erstinfektand), Hefen und Essigbakterien nacheinander

 

 

Übertragung/Infektion mit Essigbakterien

  

Staubpartikel

 

Insekten

 

Vögel

 

Essigfliege
Faule Beeren, die mit wilden Hefen besiedelt sind und nach Alkohol und Essig duften, locken die Essigfliegen an, die ihre Eier in das für die Maden geeignete Medium ablegen. Die Maden ernähren sich von den im Fruchtfleisch vorhandenen Hefen und Bakterien.

Stoffwechsel

 

Wilde Hefen bilden Alkohol und Glyzerin.

 

Essigsäurebakterien verstoffwechseln Alkohol über Acetaldehyd zu Essigsäure und Glyzerin zu Dihydroxiaceton. Als Nebenproduzenten für Essigsäure sind unter den gegebenen aeroben Bedingungen wilde Hefen und Milchsäurebakterien zu nennen.

    

 

Warum "Flüchtige"?

 

Die Gesamtheit aller wasserdampfflüchtigen Fettsäuren wie Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure u. a. werden, berechnet als Essigsäure, als "Flüchtige" bezeichnet.

 

 

Wie riecht, schmeckt Essigsäure bzw. deren Ester?

  

Geruch nach Salatessig

 

Geschmack säuerlich, kratzend

 

Ester: stechender Geruch nach Lösungsmittel, Uhuton, Esterton überdeckt das Weinbukett

Klimawandel verschärft die Problematik

Der viel zitierte Klimawandel mit höheren Reifegraden lässt frühzeitig poröse Beerenhäute entstehen. Kommt es zu Haarrissen in der Beerenhaut oder gar Saftaustritt sowie gegenseitigem Abdrücken der Beeren sind ideale Eintrittspforten gegeben - siehe Abb. 1 bis 3. Kommen bei frühherbstlich hohen Temperaturen noch Niederschläge hinzu, verstärkt sich dieses Problem erheblich. Inwieweit die weit überdurchschnittlichen Julitemperaturen, ausgelöst durch hohe Sonnenscheinstundenzahl, gerade bei Riesling zu besonders festen und später weniger elastischen Beerenhäuten mit der Folge späteren Aufplatzens nach den hohen Niederschlägen im Sept. und Okt. geführt haben, muss zunächst Vermutung bleiben. Dies wäre jedoch eine plausible Erklärung für die besonderen Probleme bei Riesling in 2006.

Abb 1: Risse mit austretendem Beerensaft sind ideale Eintrittspforten auch für Essigbakterien

Abb. 2: Botrytis vom Traubeninneren ausgehend. Wilde Hefen und Essigbakterien besiedeln den "vorbereiteten" Nährboden




Abb. 3: Mischinfektion von Botrytis, wilden Hefen und Essigbakterien

Nachdem die Grünfäule (Penicillium expansum) - Abb. 4 - ähnliche Ansprüche an das Milieu hat wie Essigfäule ist es nicht verwunderlich, dass diese in den letzten Jahren ebenfalls häufiger zu finden ist. Bei niedrigen Temperaturen "gewinnt" Penicillium "den Wettlauf" um den Besiedlungsplatz gegenüber Botrytis kaum. Hohe Reifegrade, Beerenverletzungen sowie hohe Temperaturen sind jedoch für Penicllium besonders förderlich. Nachdem bereits geringste Anteile grünfaulen Lesegutes starke Mufftöne im Wein verursachen ist konsequentes verwerfen befallener Anteile oberstes Gebot. Gleiches gilt für den Sekundärpilz Trichothezium roseum der in der Regel nach vorherigem Botrytisbefall folgt, zu weislich bis rosafarbenen "Fruchtmumien" führt und unangenehme Bittertöne im Wein verursacht. Weitere Fäulniserreger wie Aspergillusarten, Rhizopus und Mucor spielen bisher bei uns nur eine geringe Rolle, sind jedoch im Hinblick auf die Weinqualität ebenfalls recht problematisch.


Abb.4: Grünfäule neben Botrytis
Bei geringem Anteil im Lesegut entstehen ausgesprochene Mufftöne im Wein

Schwächeparasit Botrytis bereitet Boden für Essigfäule

Dort wo Botrytis günstige Bedingungen vorfindet sind auch die Voraussetzungen für Essigfäule gegeben. Vorbeugung gegen Essigfäulebefall beginnt deshalb bei der Botrytisbekämpfung - siehe Übersicht 2.

Übersicht 2: Schwächeparasit Botrytis - Zusammenhänge

Das Verletzungen durch Insekten- oder Vogelfraß, aber auch durch Samenbruch bei spätem Oidiumbefall ebenfalls willkommene Eintrittspforten für Penicillium, wilde Hefen sowie Essigbakterien darstellen sei nur noch ergänzend angefügt. Gerade bei frühreifen Sorten sowie in warmen Jahren sind diese Probleme wiederum eher von Bedeutung.

Lösungsansatz indirekte Bekämpfung

Im Gegensatz zu Botrytis gibt es gegen Essigbakterien und wilde Hefen keine direkte Bekämpfungsmöglichkeit. Dagegen sind alle Kulturmaßnahmen, die die Beeren abhärten sowie Verletzungen vermeiden helfen, sehr wirksam - siehe Abb.5.



Abb. 5: Den indirekten Maßnahmen kommt größere Bedeutung zu als den direkten

 

Die indirekten Maßnahmen beginnen bereits bei der Sortenwahl. Vor allem sollten keine zu frühen Sorten in gute Lagen gepflanzt werden, um vorzeitige Reife nicht noch zu fördern. Der Klimawandel macht gerade hier ein Umdenken bzw. eine gezielte Reaktion erforderlich. Soweit lockerbeerige Klone zur Verfügung stehen, sind diese unbedingt zu bevorzugen. Die Unterlage ist der Wuchskraft von Boden und Bodenbewirtschaftung sowie dem geplanten Standraum anzupassen. Ziel ist sortenspezifisch ausgeglichenes Wachstum.

Der Bodenpflege mit ihrem unmittelbaren Einfluss auf Wasserhaushalt und Nährstoffverfügbarkeit und damit dem Rebwuchs, kommt eine herausragende Bedeutung zu. Das Ziel harmonischen Wachstums lässt sich durch an Vitalität des Rebbestandes sowie Jahrgangseinflüsse angepasste Bodenpflegeintensität am ehesten erreichen. Die Dauerbegrünung leistet hier gute Dienste. In den offen gehaltenen Gassen sollte ab etwa Mitte Juli jegliche tiefere Bearbeitung unterlassen werden, um bei nachfolgenden Niederschlägen nicht zusätzlich Nährstoffschübe zu verursachen. Auch bei Winterbegrünungseinsaat ist die Bearbeitungstiefe auf wenige Zentimeter zu begrenzen. Die Stickstoffdüngung dient ebenfalls der Wuchssteuerung und sollte lediglich bedarfsgerecht sowie unbedingt vitalitätsangepasst - gerade auch was lokale Wuchsunterschiede innerhalb einzelner Anlagen angeht - erfolgen. Wiederholt ertragsreduzierte Anlagen sind wegen der zunehmenden Rebvitalität besonders zurückhaltend zu düngen. Bei Sorten mit kompakten Trauben ist hohe N-Düngung mit starkem Wuchs extrem förderlich für Botrytis und Essigfäule.

Auch sachgerechte Stockarbeiten gehören mit zu den vorbeugenden Maßnahmen. Hierzu gehört sauberer, wuchsangepasster Anschnitt bei möglichst nur einem kurzen Ersatzzapfen. Werden die Augenzahlen auf 4 ‑ 6 Augen/m² - entsprechend ca. alle 7 cm ein Trieb bei 2 m Gassenbreite - begrenzt, wird von Anfang an Verdichtungen vorgebeugt. Sinnvolles Biegen auf den "vorhandenen Raum" beugt ebenso unnötigen Verdichtungen vor, wie konsequentes Ausbrechen unnötiger Wasserschosse sowie von Doppeltrieben und Schwachtrieben. Auch durch gleichmäßiges Verteilen der grünen Triebe in der Laubwand wird lokalen Verdichtungen bei den Heftarbeiten vorgebeugt. Je nach Sorte kann die Entfernung der Geiztriebe in der Traubenzone sinnvoll sein.

Einer zeitigen, kräftigen Entblätterung der Traubenzone kommt eine Schlüsselrolle zu. Sie führt zu wesentlich verbesserter Belichtung, Belüftung und Abhärtung des Pflanzengewebes sowie zu kleineren Beeren und damit weniger kompakten Trauben. Dadurch kommt es weniger zu gegenseitigen Abquetschungen einzelner Beeren oder gar von ganzen Gerüstteilen und mindert somit die besonders gefürchtete Fäulnis aus dem "Traubeninnern". Hinzu kommt die extrem verbesserte Applikationsqualität beim Pflanzenschutz.

Der Laubschnitt sollte so spät wie möglich erfolgen, um das Beerenwachstum nicht unnötig zu fördern. Gerade unter wüchsigen Verhältnissen und bei Sorten mit kompakten Trauben kommt diesem Aspekt große Bedeutung zu. Vorbeugend ist deshalb über angepasste Bodenpflege und N‑Düngung auf ausgeglichenes Wachstum hinzuarbeiten.

Der Einsatz von Bioregulatoren (Gibberellin) zur vorbeugenden Bekämpfung von Essigfäule, der als sogenannte Lückenindikation für Burgunderarten sowie Portugieser in den letzten Jahren zugelassen war, ist sehr effizient. Der auflockernde Effekt durch eine gewisse Verrieselungsförderung hat gerade bei diesen Sorten mit ihren kompakten Trauben zu erheblicher Minderung von Botrytis wie auch Essigfäule geführt.
Auch durch angepasste Ertragsregulierung kann Essigfäule vorgebeugt werden. So kam es in den vergangenen Jahren vielfach durch zu frühe und zu starke Ertragsregulierung zu besonders kompakten Trauben mit der Folge starken Fäulnisbefalles. Besonders bei fortgeschrittener Entwicklung - "frühe Jahre"- sowie bei frühreifen Sorten sollte eher später sowie weniger stark eingegriffen werden. Gleiches trifft für starkwüchsige Anlagen als auch Sorten mit kompakten Trauben zu. Gegebenenfalls kann sich die Regulation nach weitgehendem Reifeumschlag durch Entfernung lediglich unreifer Anteile sowie bereits angefaulter Trauben anbieten. Das späte (kurz vor Reifebeginn)Traubenteilen hat sich bei Sorten mit kompakten Trauben besonders bewährt. Werden noch nach Reifebeginn Trauben herausgeschnitten, so hat es sich als Vorteilhaft erwiesen diese aus dem Bestand zu entfernen.

Eine effiziente Oidium- sowie Sauerwurmbekämpfung zur Vermeidung von Eintrittspforten versteht sich von selbst. Ebenso eine direkte Botrytisbekämpfung zum Traubenschluss sowie eventuell zur Abschlussspritzung. Zumindest bei Sorten mit kompakten Trauben.

Fazit:

Es steht uns eine Vielzahl indirekter Kulturmaßnahmen, die ineinander greifen und aufeinander aufbauen, zur Verfügung. Hauptaugenmerk ist dabei, auf die Vermeidung von Beerenverletzungen zu legen. Vorbeugen ist besser als heilen, gilt hier ganz besonders. Wer Erfolg haben will muss von Anfang an konsequent arbeiten.
Um sowohl qualitative wie auch quantitative Verluste - wie im vergangenen Jahr - möglichst gering zu halten, muss eine ausreichende Kapazität für eine rasche Erntebewältigung vorliegen. Ein ausreichender Personalpool zur Entfernung unbrauchbarer Anteile vor der Maschinenlese wäre dabei zumindest wünschenswert.

Literatur:

Dittrich, H.H. "Essigstich - Noch immer Weinfehler Nr. 1" Der Deutsche Weinbau 25/26, 1157 - 1163, 1984

 

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