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Wasserglas gegen Traubenfäulen - sehr unterschiedliche Ergebnisse

Von Dr. Walter K. Kast, Rudolf Fox und Karl Bleyer
Staatliche Lehr und Versuchsanstalt für Wein- Obstbau Weinsberg

Einleitung

Die sich abzeichnende Klimaveränderung wirkt sich verstärkt in der Reifezeit der Trauben aus. Der frühere Reifebeginn und die höheren Temperaturen potenzieren sich in dieser Phase, was die Anfälligkeit für Fäulniserreger angeht. Kommen höhere Niederschläge hinzu, wie es 2006 der Fall war, kommt es zu explosionsartigem Auftreten von Botrytis. Daneben finden unter dem Einfluss höherer Temperaturen zunehmend andere Fäulnispilze wie z. B. Penicillium, aber auch Essigfäule als Sekundärerreger günstige Bedingungen. Durch den Einsatz von Fungiziden können die beiden letzteren "Probleme" nur sehr bedingt gelöst werden. Sehr gute Ergebnisse konnten dagegen bei Penicillium und Essigfäule mit der Anwendung von Gibb3 durch die Auflockerung der Traubenstruktur erzielt werden. Dieses Mittel hat jedoch nur eine zeitlich begrenzte Zulassung für Rebsorten der Burgunder-Gruppe und für Portugieser.

Pflanzenstärkungsmittel

Kali-Wasserglas ist ein registriertes Pflanzenstärkungsmittel, das vor allen Dingen im ökologischen Weinbau verbreitet zum Einsatz kommt. Ökowinzer setzen Wasserglas bevorzugt gegen den über die Cuticula eindringenden Rebenmehltau ein. Im konventionellen Anbau dürfte besonders die Wirkung gegen Traubenfäulen interessant sein. In Weinsberg wurde in den vergangenen Jahren in einer ganzen Reihe von Versuchen die Wirksamkeit von Wasserglas gegen Fäulniserreger geprüft.

Eine auf die Trauben gespritzte Wasserglassuspension kristallisiert beim Abtrocknen aus und bildet einen harten Überzug auf der Beerenschale. Vermutlich beruht der Effekt auf einer mechanischen Verstärkung der Beerenschale. Für die Einlagerung von Kieselsäure in die Zellwände dagegen ist überwiegend die Wasserverdunstung des betreffenden Organs ausschlaggebend. Der Sonne ausgesetzte Pflanzenteile, zum Beispiel Traubenbeeren nach einer Entblätterung, verdunsten wesentlich mehr Wasser als in der dichten Laubwand heranwachsende. Dies dürfte eine der Ursachen für die hohe Fäulnisresistenz von Trauben nach einer frühzeitigen Entblätterung der Traubenzone sein.

Im Gegensatz zu Fungiziden, die allmählich abgebaut werden, nimmt der Effekt von Wasserglas, sobald die Beeren nicht mehr wachsen,  auch nach vielen Wochen nicht mehr ab. Besonders vorteilhaft ist dieser Effekt bei der Produktion von Eisweinen, weil bei diesen die Trauben oft sehr lange hängen bleiben müssen und die Dauer dieser Phase nicht absehbar ist.

Beim Einsatz von Fungiziden, insbesondere bei später Anwendung, können Rückstände im Wein entstehen, die zwar unterhalb der zulässigen Höchstmengen liegen, aber bei der Vermarktung von Wein erhebliche Probleme verursachen können. Beispiele einer Presseaktion des PAN-Netzwerkes im April 2008 machten erst jüngst  recht imageschädigend auf dies Problematik aufmerksam. Die Anwendung von Wasserglas ist unter diesem Gesichtspunkt völlig problemlos. Es wird u. a. in besonders reiner Form als Schönungsmittel im Wein verwendet. Imageschädigende Kampagnen sind deshalb nicht zu befürchten. Das auf die Trauben gespritzte Wasserglas kristallisiert glasartig, wird praktisch unlöslich, verbleibt bei der Verarbeitung der Trauben deshalb zu 100% in den Trestern. Bisher nicht eindeutig geklärt sind die Auswirkungen auf die Physiologie der Beeren und damit eventuell verbundene Veränderungen in der Sensorik. Entsprechende Versuche auf eine sensorische Auswirkung im Wein werden derzeit an der LVWO Weinsberg durchgeführt.

Bekanntermaßen besteht bei Botrytis-Fungiziden auch die Gefahr einer Resistenzbildung. Wegen der ausschließlich "mechanischen" Wirkung ist diese Gefahr bei Wasserglas nicht gegeben. Auch ergänzend zu Fungiziden eingesetzt kann Wasserglas die Resistenzsituation verbessern.

Gegen Penicillium- und Essigfäule haben die Fungizide im Freiland keine hinreichende Wirkung. Nur in den Fällen in denen als Folge von Botrytis Penicilliumfäule auftritt oder in denen sich Essigfäuleerreger bei älterem Botrytisbefall entwickeln, ist indirekt eine Wirkung vorhanden. Die teils sehr selektiven Botrytis-Fungizide können in Einzelfällen durch die Unterdrückung von Botrytis und somit den Wegfall der Konkurrenz diese besonders negativen Fäulniserreger sogar fördern. Wenn an den Beeren Verletzungen entstehen, z.B. durch Abdrücken der Beeren oder Sauerwurmbefall, werden diese auf jeden Fall von Mikroorganismen besiedelt. Die Wirkung von Wasserglas ist dagegen unspezifisch und schließt zumindest eine Förderung der unerwünschten Erreger aus.

Einsatzbedingungen in den Weinsberger Versuchen

Der erste Versuch wurde im Jahr 1996 bei der Rebsorte Riesling durchgeführt. In den Jahren 2005 bis 2007 folgten 8 weitere Versuche bei den Burgundersorten Schwarzriesling, Weißburgunder sowie ein weiterer bei Riesling. Dabei wurde Wasserglas in der Regel ab etwa dem Stadium Erbsengröße bis ca. Mitte August viermal, jeweils separat sowie begrenzt auf die Traubenzone mit ca. 400 bis 600 l Wasser/ha in 1%iger Konzentration (Aufwandmenge 4 bis 6 kg/ha), eingesetzt.

Extrem unterschiedliche Ergebnisse

Im ersten Versuch bei Riesling (1996) wurde ein Wirkungsgrad von 40% erzielt. Durch den Vergleich eines Botrytizides  (dreimaliger Einsatz BBCH 75, 81,85) konnte ein Wirkungsgrad von 58% erreicht werden. Ähnlich gut war der Effekt von Wasserglas bei dem im Jahr 2007 durchgeführten Versuch mit 46% Befallsreduktion.

Bei den Rebsorten der Burgundergruppe wurden dagegen sehr unterschiedliche Resultate erzielt. Sie reichten von 95% Wirkung (Schwarzriesling im Jahr 2006) bis zu 0% im Jahr 2007. In einem anderen Versuch wurde bei derselben Rebsorte im Jahr 2007 jedoch ein Wirkungsgrad von 87% erreicht. Bei sechs dieser Versuche war ein Vergleich mit Botrytiziden vorhanden (je eine Anwendung kurz vor Traubenschluss [BBCH 75] sowie nach Reifebeginn [BBCH 85]). Im Mittel dieser Versuche reduzierten die Wasserglasanwendungen den Befall um 47%, die Fungizide um 65%. DieseWirkungsgrade wurden jedoch bei den meisten Versuchen auf einem eher geringen Befallsniveau erreicht.

Auf den Befall durch den Sekundärerreger Essigfäule konnte lediglich in einem Versuch 2006 ausgewertet werden. Die Wasserglasanwendungen reduzierten bei Essigfäule den Befall um 86%, das Fungizid erreichte trotz etwas besserer Wirkung gegen Botrytis nur 82%.

Mostgewichtsmessungen ergaben unter den gegebenen Einsatzbedingungen in keinem Fall Hinweise darauf, dass die Reife der Trauben durch Anwendung von Wasserglas verzögert wird. Wie aus Beobachtungen aus der Praxis bekannt ist, kann es durch intensive Behandlung der gesamten Laubwand jedoch sehr wohl zu vorzeitiger Laubalterung und damit teilweise zu Mostgewichtsminderungen kommen.

Effekt von Wasserglas in Abhängigkeit der Kompaktheit der Trauben
Abbildung 1:Effekt von Wasserglas in Abhängigkeit der Kompaktheit der Trauben

 

Effekt von Wasserglasbehandlungen im Vergleich zu Botrytisfungiziden
Abbildung 2: Effekt von Wasserglasbehandlungen im Vergleich zu Botrytisfungiziden


Ursache der starken Wirkungsschwankungen von Wasserglas

Bei der oben erwähnten, extremen Streuung der Ergebnisse stellt sich natürlich die Frage nach der Ursache. Wichtige Hinweise ergaben sich in einem Versuch, bei dem Maßnahmen zur Steigerung der Weinqualität geprüft wurden. Dazu wurde der Ertrag zum einen durch Einstellen auf eine Traube/Trieb und zum anderen durch Halbieren der Trauben reduziert. Durch das Einstellen auf eine Traube/Trieb entwickelten sich extrem kompakte Trauben. Die halbierten Trauben dagegen waren sehr locker aufgebaut. In beiden Fällen wurde die Hälfte der Versuchsvarianten zusätzlich mit Wasserglas behandelt. Während bei der Variante eine Traube/Trieb keine Wirkung festgestellt werden konnte, betrug der Effekt bei den halbierten Trauben fast 90%, bei allerdings sehr geringem Befall in der nicht mit Wasserglas behandelten Variante. Die unterschiedliche Wirkung hängt offensichtlich mit der Traubenstruktur zusammen. Wenn man alle bisher vorliegenden Versuchsergebnisse darauf prüft wie die Traubenstruktur jeweils ausgesehen hat, so bestätigt sich, dass die Wirkung von Wasserglas immer dann gut bis hervorragend war, wenn die Trauben locker waren. Bei extrem kompakten Trauben, wie beispielsweise bei Schwarzriesling und Ausdünnung auf 1 Traube/Trieb, sind die Ergebnisse dagegen meist unbefriedigend. Wenn man die Wirkung von Wasserglas als eine Art Verstärkung der Beerenschale durch einen äußeren, kristallinen Überzug betrachtet, ist es nahe liegend, dass Wasserglas gegen die bei kompakten Trauben auftretenden Belastungen, insbesondere an der Ansatzstelle der Beeren, keine Wirkung haben kann. Die kritische Stelle wurde dabei am wenigsten von Wasserglas getroffen Der "harte, spröde Überzug" kann auch keine Spannungen ausgleichen und kann das gegenseitige Abdrücken der Beeren nicht verhindern. Die Infektion ("Burgunder-Infektionstyp") über diese Risse an der Beerenansatzstelle tritt überwiegend bei den kompakten Sorten auf. Gegen die Besiedlung solcher Eintrittspforten durch Fäulniserreger kann Wasserglas keinerlei Wirkung entfalten. Sehr gut ist offensichtlich seine Wirkung dagegen, wenn die Fäulniserreger über die Oberfläche der Beeren "angreifen", insbesondere, wenn die Beerenschale durch zunehmende physiologische Reife an Stabilität verliert. Dieser Weg des Angriffs tritt typischerweise bei lockerbeerigen Traubensorten mit sehr empfindlicher Beerenschale wie Müller-Thurgau auf ("Müller-Thurgau-Infektionstyp"). Hier erscheint offensichtlich der Effekt der Wasserglas-Spritzungen zum Tragen zu kommen.

Ausbringung problematisch

Mischungen von Wasserglas mit anderen Mitteln sind relativ risikoreich, da Wasserglas den pH-Wert der Spritzbrühe sehr stark erhöht. Mischungen mit Netzschwefel erwiesen sich im ökologischen Weinbau als problemlos. Für weitere Mischungen liegen keine ausreichenden Erfahrungen vor. Sicher ist deshalb nur die separate Anwendung. Interessant ist vor allem die begrenzte Ausbringung auf die Traubenzone, um einer vorzeitigen Laubalterung in der Gesamtlaubwand vorzubeugen. Auf jeden Fall muss jede Gasse befahren werden. Im Vergleich zum Einsatz von Fungiziden, die den Routinenspritzungen zugesetzt werden, verursachte der Einsatz von Wasserglas einen unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand. Ideal für die Anwendung von Wasserglas ist der Einsatz der Zwei-Stoff-Technik, bei der mit zwei getrennten Behältern, Pumpen und Düsensätzen zwei verschiedene Spritzbrühen in bestimmte Laubwandbereiche in einem Durchgang ausgebracht werden können. Nur mit dieser Technik dürfte ein Einsatz praxisgerecht möglich sein. Wasserglas kann den Spritzungen zugesetzt werden, bei denen keine Botrytizide oder Insektizide ausgebracht werden sollen.

Ein wirtschaftlicher Einsatz von Wasserglas ist nur mit Zweistoff-Technik möglich
Abbildung 3: Ein wirtschaftlicher Einsatz von Wasserglas ist nur mit Zweistoff-Technik möglich

Sonstige Probleme

Nicht nur auf den Traubenbeeren, sondern auch auf anderen Gegenständen bildet Wasserglas kristalline Überzüge aus. Diese sind, wie oben erwähnt, praktisch unlöslich und lassen sich nur schwer entfernen. Geeignet für die Reinigung verschmutzter Windschutzscheiben und Karosserieteile sind spezielle Reinigungsmittel, die im Bereich Gebäudereinigung zur Entfernung von Versiegelungen auf Keramik-Fliesen verwendet werden.

Fazit

Wasserglas ist in bestimmten Fällen ein geeignetes Mittel zur Verminderung der Fäulnis der Keltertrauben. Es wirkt in Situationen gut, in denen der Botrytispilz über die bei zunehmender Reife anfälliger werdende Beerenschale eindringt. Es wirkt dagegen schlecht wenn die Trauben zu kompakt werden und sich die Beeren gegenseitig am Stilansatz abdrücken und dort Eintrittspforten für Schwächeparasiten entstehen. Bei kompakten Sorten sind deshalb Maßnahmen gegen die Kompaktheit vorrangig, z. B. gezielte Steuerung des Wachstums, frühes Entblättern, spätes Gipfeln, Einsatz von Gibb3 oder Regalis.

Besondere Vorteile von Wasserglas sind:

keine Rückstände im Wein

günstiger Preis

sehr lange anhaltende Wirkung

keine Resistenzgefahr

 

 

Besondere Probleme bereiten:

Mischbarkeit

Verschmutzung von Geräten

wirtschaftlicher Einsatz wegen Mischungsproblemen nur mit Zweistoff-Applikationstechnik

keine Wirkung bei kompakten Trauben (Fäulnis von innen)

Die Anwendung von Wasserglas kann die meist hochwirksame Behandlung mit Fungiziden zum Zeitpunkt kurz vor Traubenschluss auf keinen Fall ersetzen, allenfalls bei geringerem Befallsdruck ergänzen. Sie dürfte eher eine Alternative zu den Spätbehandlungen unter Ausnutzung der Wartezeit sein, wenn eine geeignete Applikationstechnik (Zweistoff-Verfahren) zur Verfügung steht.

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